
Also gut. Jetzt habe ich einmal München zu Fuß umrundet. Knappe 130 Kilometer in 13 kurzen bis mittel-kurzen Halbtagesetappen, die für jede noch so schlechte Witterung geeignet waren und sich mit einem gesteigerten winterlichen Schlafbedürfnis am Wochenende oder einem Homeoffice-Vormittag wunderbar kombinieren ließen.

#01 #02 #03 Die Ahnungslosen.
Es gibt ja so Dinge, die sich von selbst ergeben ohne sie geplant zu haben. Die ersten drei (!) Etappen meiner München-Umrundung habe ich nämlich zurückgelegt, ohne es zu wissen. Um die Weihnachtszeit herum standen die Vorzeichen wieder auf daheim bleiben und ich war nicht in Stimmung, mir richtige Ausflüge auszudenken, sondern wollte das unmittelbare Münchner Umland entdecken. Unspektakulär und echt. Den vielen weißen Flecken am Stadtrand ein Bild geben und mit dem Vorurteil aufräumen, der Großraum Münchens hätte aufgrund seiner flachen Topographie und in Ermangelung an Kulisse im Vergleich zu den Seen im Voralpenland und den Bergen nicht allzu viel zu bieten. Dann kam noch die Diskussion um die 15 Kilometer, die man sich je nach Infektionsgeschehen maximal um seinen Wohnort bewegen dürfe. Schnell war eine Karte des Umkreises gezeichnet – just in case – und ich tüftelte auf Komoot die einzelnen Abschnitte aus.

#00 Die Spielregeln…
…sind schnell erklärt. Im Wesentlichen ging’s von einer S-Bahn-Station am Stadtrand zur anderen, mehr oder minder konzentrisch, wobei ich in meiner Tourenplanung sehr intuitiv vorgegangen bin und schnell festgestellt habe, dass meine ausgewählten Strecken von der eigentlichen Stadtgrenze häufig wesentlich abweichten. Egal. Hauptsache am Ende kommt eine komplette Runde zustande, und genauso inkonsequent wie der Streckenverlauf war die Reihenfolge der einzelnen zurückgelegten Abschnitte. Ein ziemliches Durcheinander, je nachdem auf welche Himmelsrichtung, Gegend und Landschaft ich gerade Lust hatte, dass man schnell den Überblick verlieren konnte, wo ich mich schon wieder herumgetrieben hatte. Aber: Ich wusste schon ganz genau, was ich machte und hatte mächtig Spaß dabei. Zwischen tiefstem Winter und frühlingshaftem Vogelgezwitscher war ich fünf Wochen lang in meiner Freizeit gut beschäftigt.
Die Vorbereitung für jede Tour war denkbar einfach. Kein frühes Aufstehen, kein Festlegen auf einen bestimmten Zug, Fahrschein kaufen usw. Ich musste nur die Taktung der S-Bahn checken, Tee kochen, Brot schmieren, mich warm anziehen, Rucksack und Kamera packen, ah ja, und den Mundschutz bzw. die FFP2-Maske für die S-Bahn nicht vergessen. Fertig.
#01 Die Verschwundene.
Wenn man sich lange genug ein Luftbild des Münchner Ostens bzw. Nordostens ansieht, kann man darauf eine knapp acht Kilometer lange gerade Linie erkennen. Es ist die ‚Feldkirchner Tangente‘, ein Kriegsrelikt und ehemaliges Verbindungsgleis zwischen den heutigen S-Bahnhöfen Feldkirchen und Johanneskirchen, welches zu Zeiten der Reichsbahn den Münchner Nordring mit der Bahnstrecke München – Simbach verbinden sollte.
Nach nur drei Jahren in Betrieb wurde die Spange nach Sprengung der Föhringer Eisenbahnbrücke 1945 stillgelegt. Heute lässt sich auf der renaturierten Trasse und dem alten Gleisschotter wunderbar und schnurgeradeaus wandern. Alte Schienen sucht man hier zwar vergebens, die Unterführungen und Brücken von damals sind aber alle noch da.
Ich gestehe: Ich muss mich erst mal am Stadtrand akklimatisieren, hier im Münchner Osten fühle ich mich ein wenig wie im Niemandsland. Alles, was ich rechts und links vom Bahndamm sehe, hat einen geringen Wiedererkennungswert und sagt mir wenig. Anyway, ich genieße die Ruhe, irgendwie scheint zwischen den Jahren die Zeit ohnehin gerade still zu stehen. Auf halber Strecke und rechterhand des Bahndamms überrascht mich ein kleiner See ohne Namen. Ich laufe einmal drum herum und denke an die Lobau in den Wiener Donauauen.

#02 Die Verschneite.
Eigentlich stehe ich ja nicht so auf Schnee und Winter wie alle anderen hier in München. Als ich aber am diesjährigen Dreikönigstag morgens aufwachte, und richtig geblendet war von dem vielen Schnee, der draußen auf den Bäumen lag, wollte auch ich so schnell wie möglich hinaus. Also bin ich kurzentschlossen zur Aubinger Lohe gefahren um eine Winterlandschaft wie aus dem Bilderbuch vorzufinden.

Ich hätte nicht nur glatt die Orientierung verlieren können, wo doch alles weiß war, gleichgültig wohin ich blickte. Vorne, hinten, rechts, links, oben, unten. Ich hätte geradezu vollständig vergessen können, wo ich mich gerade befinde inmitten des tief verschneiten Waldes.
Schließ’ die Augen und stell’ dir vor, du wärst in Finnland. Oder in Norwegen. Klingt plausibel. Und jetzt stell’ dir vor, du stehst auf Münchner Stadtgebiet. Kaum zu glauben. Auf dem Weg zur S-Bahn in Germering und vorbei am Moosschwaiger Weiher habe ich jeden Umweg mitgenommen um dem knirschenden Schnee unter meinen Füßen so lang wie möglich zu lauschen. Ein Tag ganz in Weiß. 1a mit Sternchen*.
#03 Der Geradlinige.
Einmal den Würmkanal geradeaus von Karlsfeld nach Schleißheim gehen. Das mag voll unspektakulär klingen, aber hey – man muss sich mal vorstellen, dass dieser Abschnitt des Münchner Kanalsystems bereits im 17. Jahrhundert errichtet worden ist, über dreihundert Jahre auf dem Buckel hat und nicht zu Unrecht unter Denkmalschutz steht.

Eine Freundin hatte mich gefragt, ob ich nicht Lust hätte, mit ihr gemeinsam den Kanal entlang zu gehen. Ein paar Schritte nördlich vom S-Bahnhof Karlsfeld verinnerlichen wir den Schleusenpunkt wo der Kanal vom Flusslauf abzweigt und begleiten von da an das gleichmäßig rauschende Gewässer bzw. das Gewässer uns. Ich finde ja, das würmige Wasserplätschern hat einen ganz eigenen, unverkennbaren Klang. Zwischendurch blitzt immer wieder mal die Sonne durch die Wolken und der Olympiaturm durch die Bäume.

Beim Schloß Schleißheim spuckt uns der Würmkanal aus und geht in den Schleißheimer Kanal über. Von meiner Tour nichtsahnend, schummle ich an dieser Stelle denn statt mit der S-Bahn von Oberschleißheim zurück zu fahren laufen wir als Draufgabe hinunter durchs Hartlholz zur Panzerwiese, dem ehemaligen militärischen Übungsplatz. Wir machen kurz Halt bei der ehemaligen Bunker-Attrappe, wo ich das Gefühl habe, ich wäre gerade irgendwo in Russland und laufen müde und doch ein wenig ausgekühlt zur U-Bahnstation Dülferstraße.

#04 Die große Überraschung.
Szenenwechsel in den Münchner Süden. Ich bin nie im Forstenrieder Park gewesen, und das obwohl ich seit bald acht Jahren in München lebe. Das ehemalige Jagdgebiet des Adels und der Wittelsbachischen Landesherren muss heute ein beliebtes Pflaster zum Fahrrad fahren sein, aber das mach’ ich in meiner Freizeit ja nicht… Kann es denn reizvoll sein, diese langen, geradlinigen, rasterförmig angelegten Schneisen, die sogenannten ‚Geräumte’ durch den Misch- und Nadelwald entlang zu wandern? Ja. Im Winter durchaus.

Also stapfe ich von der S-Bahn-Station Buchenhain stundenlang die alte und in Teilen sehr im Wald versteckte Römerstraße entlang, durch den glitzernden und in Teilen noch ungespurten Neuschnee.

Ich kann mich nicht satt sehen an den schneebedeckten Bäumen, hat doch jede Baumart ihr eigenes Schneemuster und komme später über schneebedeckte Felder an der alten Keltenschanze vorbei nach Gauting, wo ich für einen Moment schon wieder die Würm antreffe, diesmal im Süden.
#05 Die kleine Schwester.
Nachdem ich mich so begeistern habe lassen vom weitläufigen und geschichtsträchtigen Forstenrieder Park knüpfe ich mir am nächsten Tag gleich den Perlacher Forst vor. Vom Bahnhof Großhesselohe Isartalbahnhof aus habe ich ein kurzes Vergnügen mit der Isar, die an diesem Morgen noch ein wenig im Nebel hängt. Nur ein paar Meter jenseits der Hangkanten lichtet sich der Nebel und löst sich in Sonnenschein auf.

Für ein Stück folge ich den Gleisen der Bayerischen Oberlandbahn, mit der ich so viele Male hier entlang Richtung Berge gedüst bin. So fühlt sich in diesem Moment Entschleunigung an! Nachdem ich auf der anderen Seite der Gleise noch auf den Perlacher Mugl hoch bin und den Leuten auf den zu hundert Prozent vereisten Wegen beim Hinfallen zugeschaut habe, gibt es ein wenig später und wieder unten auf einer kleinen, versteckten Lichtung meine obligatorische Jause (bay. Brotzeit). Diese hier verdient Erwähnung weil sie einfach außergewöhnlich cool war. An einer Gruppe von Baumstümpfen hocke ich mich auf einen der in der Sonne steht, während ich den daneben als Tisch nutze und packe meinen Proviant aus. Kurz darauf kommt eine Gruppe von drei Leuten an mir vorbei. Einer sagt zu den anderen: „Mei, sieht das super aus. Genau so muss man’s machen.“
Quietschvergnügt laufe ich weiter nach Unterhaching. Sentimentaler Einschub: Kurz vor dem Ende der Etappe komme ich beim Althachinger vorbei, dem Wirtshaus in der Unterhachinger Innenstadt, wo ich so manche wunderbare, fröhliche und denkwürdige Abende mit dem Bruckner Akademie Orchester nach einem unserer Konzerte im Kubiz verbracht habe. Er ist – dem Lockdown geschuldet – geschlossen, wie sich zur Zeit auch das Orchester in einer schmerzhaften Zwangspause befindet. Was für ein trauriger Anblick. Bevor meine Wehmut zu groß wird, gehe ich schnell weiter. Irgendwann, irgendwann werden wir doch hoffentlich wieder zusammen kommen und gemeinsam Bruckner spielen können…

#06 Der Zauberhafte.
Auf meiner Umrundungstour komme ich immer wieder an Stellen vorbei, an denen ich schon gewesen bin, aber eben nur punktuell. Dann finde ich es ganz besonders reizvoll, von einer mir noch unbekannten Seite zu kommen, wie auf dem Abschnitt von Haar nach Neubiberg über das ehemalige Kieswerk im Truderinger Wald.

Eine Zufalls-Bekanntschaft hatte sich mir spontan angeschlossen – nein wie cool, jetzt gibt es Leute, die mich fragen, ob sie mich eine Etappe begleiten dürfen. I’m feeling flattered. Der Wald wirkt heute im leichten Schneefall wahrlich märchenhaft, da ist es nur allzu passend, dass wir auf unserer Route noch unverhofft eine alte Grotte finden genauso wie ein paar miniaturartig wirkende Siedlungen am Stadtrand. Ist das wirklich München? Die altbekannte Frage, die ich mich stetig auf meiner Runde begleitet.
Wenig später erreichen wir die Kiesgrube an ihrer Rückseite. Den schönsten Blick auf sie hat man zweifelsohne von einem schmalen Pfad aus an der Hangkante, der heute völlig vereist ist. Wer hätte nun gedacht, dass man sich unabsgesprochen zum Stadtrandwandern mal sicherheitshalber seine Grödel in den Rucksack packt? Na da haben sich zwei Freaks gefunden und ein paar Handgriffe später marschieren wir unbeschwert über die spiegelglatte Oberfläche während sich die nächste Generation an Skeletonpiloten waghalsig die vereiste Steilböschung hinunterstürzt.

Die Anlage des ehemaligen Kieswerks Roth wurde in den 80er Jahren stillgelegt und während die renaturierte Kiesgrube heute den Status eines Landschaftschutzgebiets genießt, steht das 1937 errichtete Werksgebäude inzwischen unter Denkmalschutz. Seit seiner Schließung bedauerlicherweise leerstehend, ist es dennoch das wohl außergewöhnlichste Bauwerk am Münchner Stadtrand. Hoffentlich wird sich eines Tages eine andere geeignete Nutzung für dieses wahrhaft unglaubliche Gebäude finden, das mich regelrecht in Begeisterungsstürme versetzt.

#07 Die Wildschweinjagt.
Jetzt hat es also schon wieder geschneit. Moment, es schneit immer noch.

Keine Frage, natürlich gibt es Tage an denen es mich eine Portion Überwindung kostet, loszuziehen. Aber ich hatte noch ein kleines Verbindungsstück an der S7 durch den Forstenrieder Park zu überbrücken, vermutlich genau das richtige für einen Tag wie diesen. Im dichten Schneetreiben trappe ich durch den Wald von Buchenhain zum Isartalbahnhof, mache einen Schlenker mal hier und mal da. Was der Schnee für Bilder malt! Zwischen zwei Fichtenreihen stehe ich im Schiff einer Baumkathedrale und muss – warum wohl? – schon wieder an eine Bruckner Sinfonie denken.

Ich war voll in meiner inneren Stille angekommen… als plötzlich zwei Wildschweine auf dem Weg weiter vorne auftauchen (sehr schlechtes Foto, I’m so sorry). Zwei herumlaufende schwarze Flecken mit weißen Schneenasen in freier Wildbahn, so etwas habe ich auch noch nicht gesehen. Die können ganz schön rennen, denke ich mir und gegen die habe ich keine Chance. Also schleiche ich unbemerkt wieder davon…
Der Rest? Schneeflocken, meist von vorne und soweit das Auge reicht, oder eben auch nicht. Das beste heute: Nach Hause in die warme Stube kommen, eine ganze Kanne heißen Schwarztee trinken und dazu aufgewärmte Welsh Cakes essen. Heaven.
#08 Die Weltreise.
Also ich habe ja ein Faible für so riesige Getreidesilos und Kiesgruben mitten auf dem freien Feld. Jetzt war ich gerade erst bei dem schönsten Kieswerk, das die Region zu bieten hat (#06), aber kurz hinter Haar kam nicht irgendeine Kiesgrube sondern:

…dieser Baggersee. An einem Nachmittag, an dem das Licht einfach so gut war, dass der See in schönstem türkisblau geleuchtet hat. Kurz fühle ich mich als wäre ich an der britischen Küste, in einer Bucht irgendwo in Cornwall. Es sollte der farbenfroheste Moment meiner gesamten Umrundung werden, und so ganz ungewöhnlich für einen Tag im Januar.

…und dahinter Australiens Uluru. Welch verblüffende Ähnlichkeit! Nur dass der Hügel aus Kies hier kleiner ist. Und grau. Aber die Silhouette ist beinahe dieselbe. Ich staune und kann’s kaum glauben. Dahinter laufe ich noch ein bisschen am eigentlichen Kieswerk herum. Auch eines der hübscheren.
Nach dieser überraschenden Entdeckung lässt mich der Blick auf die Alpenkette vom Riemer Aussichtshügel verhältnismäßig kalt, aber die Berge sind bei meiner Umrundung ohnehin nicht so wirklich das Thema.

#08 Das Kuriosum.
Am östlichsten Punkt Münchens, kurz hinter dem Riemer Park ist ein kleines Wäldchen angelegt für das es sich lohnen würd, die Vogelperspektive einzunehmen, steht hier doch ‚850 M 💚 DICH’ geschrieben. Während meiner Tourenplanung auf Komoot habe ich dieses Kuriosum entdeckt und dachte da hätte sich irgendwer mal eines Sommers an einem Maisfeld verkünstelt. Weit gefehlt, geht diese eigens angelegte Baumformation doch sogar auf das Jahr 1158 zurück. 2008, zum 850. Stadtgeburtstag, hat München seiner Nachbargemeinde Haar ein Herz geschenkt, an der Stelle wo die beiden Ortsgrenzen aneinander stoßen. Ich hätte es übersehen, hätte ich nicht genau danach Ausschau gehalten. Wenn man aber genau hinsieht, lassen sich die großen Ziffern und Buchstaben am Boden schon erahnen.

#08 Der Nachbarort.
So ganz hab ich’s ja nicht immer auf dem Schirm, auf welcher Seite der Stadtgrenze ich mich gerade befinde.

Feldkirchen jedenfalls liegt bereits im Landkreis und verdient hier Beachtung wegen des Bäckers am Wochenmarkt, welcher wohl jeden Freitag Nachmittag stattfindet. Ich hätte sein halbes Sortiment wegkaufen wollen, nicht nur weil die Sachen so gut aussahen sondern der Bäcker selbst soo nett war. Nicht dass wir hier in München selbst kein exzellentes Brot hätten, aber dieses Dinkel-Vollkornbrot, das nach vier Tagen immer noch so geschmeckt hat wie frisch aus dem Ofen, war ein Gedicht.
#09 Glückliche Autobahnhühner.
Speaking of food. Den wohl skurrilsten Anblick auf meiner Tour bescherte mir eine Hühnerfarm in Nähe des Autobahnkreuzes München-West. Ein weißer Ackertrailer in the middle of nowhere, im Hintergrund der rauschende Highway, genau so stelle ich mir einen weiten Landstrich in den USA vor. Oh, jetzt haben mich die Hühner gesehen und rennen alle auf mich zu, dahinter gleich die Gockel mit perfekt gestylter Mähne… grandios.

Endlich ein bisschen Action auf dieser sonst doch so trögen Tour von Lochhausen nach Karlsfeld an diesem grauen Samstagnachmittag.
Ein bisschen verloren trotte ich zwischen den alten Dorfkernen Lochhausen und Langwied Richtung Allach, quere zwei Autobahnen, laufe an einer weiteren, wenn auch nicht ganz so aufregenden Kiesgrube vorbei, entlang asphaltierter Straßen und über eingewinterte Felder bis ich die Alte Kiestrasse, das motorisierte Pendant zur Feldkirchner Tangente (#01) im Münchner Westen erreiche.
In den 30er Jahren entstand hier ein Teilstück des geplanten Autobahnrings, deren Bau zu Kriegsbeginn eingestellt wurde. Ich laufe einmal rauf und runter und konstatiere: I’m sorry, aber ein ehemaliger Autobahnwall wird nie so atmosphärisch sein können wie eine renaturierte Bahntrasse. Ein kleines nettes Fleckchen finde ich dennoch wo ich an diesem windigen Tag meinen Tee trinke und hinunter auf die beiden zugefrorenen Grundwasserseen des Biotops blicke. ‚Sitting on the old highway…‘ klingt eine Melodie in meinen Ohren. Gibt’s das als Lied?
Später, kurz bevor ich zur S-Bahn nach Karlsfeld komme, treffe ich schon wieder auf die Würm und ha, da war’s wieder, das charakteristische Plätschern.
#10 Die Unspektakuläre.
Eisig kalt und windig war es an diesem Tag.

Die Wege durch den Kreuzlinger Forst waren vollständig zugefroren, dass ich – voll peinlich weil bretteleben – abermals meine Grödel anzog, hauptsächlich um schneller gehen zu können, damit mir ein bisschen wärmer wird. Ich hatte versucht, einige verlassene Gebäude dieses alten Wifo-Geländes südlich von Germering aufzuspüren, und es hatte vielversprechend angefangen, dem alten Verbindungsgleis zu folgen, aber irgendwann war am eingezäunten Gelände Schluss. Keine Chance.

Also muss ich gestehen, dass der Abschnitt von Germering nach Gauting mit Ausnahme des Bahngleises und den mondänen Villen nördlich des Gauting Bahnhofs mit keinen nennenswerten Besonderheiten aufwarten konnte.
Hatte ich mich an das klare Winterlicht, die Anmut des Waldes und die Weite der Felder schon so gewöhnt?
Anyhow, immerhin bin ich ein ordentliches Stück voran gekommen und nach diesem Wochenende scheint das Ende der Tour in erreichbare Nähe gekommen zu sein. Letztlich ist es immer gut, draußen gewesen zu sein.
#11 Die Lebensader.
Während ich entlang meiner Runde neun Autobahntrassen passieren muss, etliche Bachläufe und Kanäle antreffe, überquere ich die Isar logischerweise zwei Mal, einmal im Süden über die Großhesseloher Brücke und einmal im Norden über die Leinthalerbrücke, von wo aus ich einen richtig guten Blick auf die Föhringer Eisenbahnbrücke habe (die gesprengt wurde, Ihr wisst schon – Feldkirchner Tangente -> #01).

Das bemerkenswerte an diesem Ort ist nicht nur, dass mir in diesem Moment abermals die Kraft der Isar bewusst wird, wie sie gleich einer Lebensader lautstark durch die Stadt pulsiert, sondern auch dass sich genau an dieser Stelle meine beiden Fernwanderwege kreuzen. Es war im Mai vergangenen Jahres, als ich hier – bzw. ein Stockwerk tiefer – die erste Etappe meiner Isarwanderung gegangen bin. Während sich die beiden Wege für einige Kilometer überschneiden, fühle ich mich trotz der anderen Jahreszeit und des plötzlich einsetzenden Regens zurückversetzt und habe den verwegenen Gedanken, einfach nochmal bis zur Mündung zu gehen, nur auf der anderen Seite.
Zwischen einem strömenden und einem mäßigen Regenschauer laufe ich durch die Oberen Isarauen zum Fröttmaninger Berg und vorbei am Klärwerk zur Allianz-Arena. Sie mag ja ganz divenhaft rüberkommen, aber ich finde die betonierte Straßenwüste um sie herum ja eher weniger glamourös. Aber bevor ich mich über das nicht vorhandene Fußgänger-Leitsystem aufrege, laufe ich querfeldein und hüpfe in Fröttmaning schnell und ausnahmsweise in die U-Bahn, um eine Lang-Etappe in zwei Abschnitte zu teilen.
#11 Die Ungeduldige.
Ich hätte warten können auf besseres Wetter um der Tour einen sonnigen Abschluss zu bescheren, aber ich wollte an diesem Wochenende einfach fertig werden mit meiner Umrundung.

Die Strecke durch den Landschaftspark Hachinger Tal von Unterhaching nach Neubiberg ist mehr ein Spaziergang denn eine Wanderung. Auch wenn ich den Park im Unterhachinger Teil bereits kenne, ist die kurze Strecke eine spannende Abwechslung, handelt es sich hier doch um das Gelände eines ehemaligen Fliegerhorsts. Der Landschaftspark wurde vor gerade mal zwanzig Jahren angelegt und erfreut sich heute großer Beliebtheit. Auf der ca. zweieinhalb Kilometer langen ehemaligen Start- und Landebahn tummeln sich Fahrradfahrer, Inline-Skater, Spaziergänger, Hundeausführer, Drachensteiger, herumtobende Kinder, Jogger mit Kinderwägen.
Fühlt sich ein bisschen an wie in Berlin-Tempelhof. Abseits der asphaltierten Landebahn begebe ich mich auf die Suche nach weiteren Flugplatz-Fragmenten und finde einen Haufen alter Bahngleise und sonstige Altflugplatz-Art.
Die Liste der „Renaturierten“ ist hiermit nun komplett. Ich hatte das Gleisbett an der Feldkirchner Tangente (#01), die Kiesgrube in Waldtrudering (#06), die ehemalige Autobahntrasse in Allach (#09) und jetzt den Militärstützpunkt.

#13 Die Letzte.
Ich dachte, die gefälligen Abschnitte habe ich alle schon hinter mich gebracht und dieser graue wie ungemütlich nasskalte Sonntag ließ mich keine großen Hoffnungen auf eine besonders malerische Abschlussetappe haben. Ich war froh, dass mich eine Freundin begleiten würde und fieberte dem Ende auch so entgegen. Aber: Einen Schritt in den über Nacht frisch und ganz dezent angezuckerten Wald unmittelbar hinter dem Schloss Schleißheim und schon war ich wieder verzaubert.

Kurzweilig laufen wir schnell durch das Berglholz, den Berglbach entlang bis wir – etwas nonkonform- von der Rückseite nach Lustheim zu den Schlossanlagen gelangen und kurz stelle ich mir vor, ich könnte hier auch in Laxenburg südlich von Wien sein.

Jetzt noch ein paar hundert Meter dem Schleißheimer Kanal entgegen laufen, hinein ins Schweizer Holz, immer wieder rechts und links des Weges durch die Baumstämme schauen, die A xy überqueren bis wir in der Südlichen Fröttmaninger Heide landen, das heutige Naturschutzgebiet auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz.
Wir lästern ab über die nahegelegene Autobahn, die so laut zu uns herüber dröhnt und diskutieren über das doch etwas traurige Schicksal des Münchner Nordens. Hier auf offenem Feld ist’s jetzt doch etwas ungemütlicher als vorhin noch im Wald. Wir begießen das Ende meiner München-Umrundung mit einem Tee aus unseren Lieblingsbechern und blicken vom Aussichtsbalkon auf die heute ein wenig farblose Heide. Wir müssten mal im Sommer nach der Arbeit kommen, da ist das Licht bestimmt voll schön, und wenn dann noch die Bienen summen und die Blumen blühen…

Wir laufen die letzten Meter zur U-Bahn-Station Fröttmaning. Yes! Ich bin fertig mit meiner Runde. Unsere Hände frieren, dass meine Finger jetzt noch schmerzen, während ich diesen Text schreibe.
Der Ausblick.
What next? Einerseits brenne ich darauf, endlich mal wieder richtig raus zu kommen aus dieser Stadt, andererseits habe ich im Verlauf dieser Runde so viel entdeckt, wo sich’s lohnt, anzuknüpfen und weiterzumachen. We’ll see. Bestimmt ergibt sich irgendwas wieder von selbst.

Die Realität.
Oft musste ich schmunzeln, wenn ich irgendwo entlang gegangen bin, wo es nicht unbedingt so pittoresk war wie es auf Instagram immer zu sein scheint. Die vielen Brücken über die monsterhaften und lärmenden Autobahnen, die Wege und Straßen neben Heizkraftwerk, Klärwerk und Mülldeponie, vollbefahrene Straßen, verwahrloste Bahnhofsgebäude, abgeranzte Unterführungen, riesige Supermarkt-Parkplätze und gesichtslose Park & Ride-Anlagen, verunstaltete Gebäude und so Naja-Siedlungen. Gehört eben auch dazu. Und genau das wollte ich: Unverfälscht und real.

Für’s Protokoll:
#01 – Feldkirchen – Johanneskirchen 27.12.2020
#02 – Lochhausen – Harthaus 06.01.2021
#03 – Karlsfeld – Oberschleißheim – (Dülferstraße) 08.01.2021
#04 – Buchenhain – Gauting 09.10.2021
#05 – Großhesselohe Isartalbahnhof – Unterhaching 10.01.2021
#06 – Haar – Neubiberg 16.01.2021
#07 – Buchenhain – Großhesselohe Isartalbahnhof 17.01.2021
#08 – Haar – Feldkirchen 22.01.2021
#09 – Lochhausen – Karlsfeld 23.01.2021
#10 – Harthaus – Gauting 24.01.2021
#11 – Johanneskirchen – Fröttmaning 29.01.2021
#12 – Unterhaching – Neubiberg 30.01.2021
#13 – Oberschleißheim – Fröttmaning 31.01.2021
Die Tour zum Nachgehen auf komoot.de
Ein wunderbarer Bericht, diese Umrundung von München, der Stadt, die mich im Alter von neun Jahren aufgenommen hat, in der ich meiner große Liebe begegnen durfte, der ich mit vierundreißig Jahren den Rücken kehrte um dieser großen Liebe zu folgen, und der ich mich nach wie vor eng verbunden fühle. Die beschriebenen Gegenden, die da durchwandert wurden haben Erinnerungen geweckt, Erlebnisse ins Bewustsein zurückgeholt, die nicht mehr tagtäglich präsent waren. Danke für diese vierzigminütige Reise in meine Kinder-, Jugend- und Jungerwachsenenzeit.
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